Mexiko-Stadt und der Smog

Peter Burghardt, Journalist, dokumentiert das Ringen um erste Erfolge bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung, einem der größten Probleme der Weltstadt. Die Aussicht aus dem Fenster der Umweltbehörde ist schlecht. Dabei sei ein "Blick wie in Chamonix auf die Gletscher" möglich.

 

Ein Testfall auf höchstem Niveau

Seit einem Jahr ist in Mexiko-Stadt kein Smogalarm ausgelöst worden, trotzdem liegt die Metropole weiterhin unter einer Dunstglocke

Mexiko-Stadt - Der Energieexperte Hermann Hertz hat ein kleines Büro mit einem kleinen Fenster. Davor hängt ein weißer Vorhang, und wenn er ihn zurückzieht, dann sieht er gewöhnlich, dass bei seinem Großprojekt "Luftreinhaltung in Mexiko-Stadt" noch jede Menge zu tun ist. Theoretisch gäbe es eine hübsche Aussicht vom dritten Stock der Umweltbehörde am Zócalo, dem ehrwürdigen Platz der Verfassung. "Man hätte hier einen Blick wie in Chamonix auf die Gletscher", sagt Hertz, die Hochebene umringen ja mächtige Berge, darunter der Vulkan Popocatepetl, der am Dienstag ausgebrochen ist, sowie der Iztacihuatl. Der Blick reicht an diesem trüben Mittag aber wie so oft bloß ein paar Hochhäuser weit, der Rest verschwindet hinter einem Schleier, als hätte jemand Gardinen mit gelb-grauen Schmutzrändern aufgehängt. Also: Vorhang wieder zu.

In solchen Momenten amüsiert sich der Entwicklungshelfer von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) über die Plakate, mit denen die Stadtverwaltung stolz daran erinnert, dass es in Mexiko seit einem Jahr keinen Smogalarm mehr gegeben habe. Ein erfreuliches Jubiläum, zweifellos, immerhin wurde zu Beginn des Programms vor zehn Jahren noch durchschnittlich jeden fünften Tag Alarm geschlagen. Andererseits liegt der mexikanische Grenzwert für die Warnstufe eins bei horrenden 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter, in Deutschland wird bereits bei 180 von Aktivitäten im Freien abgeraten; von der Belastung durch Staubpartikel und andere Giftstoffe ganz zu schweigen. Also: "Statistisch wird's besser", sagt Hertz, "aber man muss das Niveau betrachten."

Das Niveau von Belastungen aller Art hat diese Megapolis auf 2200 Metern längst zu einem internationalen Testfall gemacht, zu einer Art humanem Versuchslabor. Die Ciudad de Mexico zeigt ja exemplarisch, wie die Menschheit einen traumhaften Ort erst systematisch zu Grunde richtet und später mühsam zu retten versucht.

Man muss in der langen Geschichte nicht mal bis zu den Azteken zurück gehen und zum Spanier Hernan Cortes, der 1519 begeistert das damalige Tenochtitlan entdeckte (und in Trümmer legte): eine prachtvolle Metropole, erbaut auf Wasser. Noch in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts war die damals überschaubare Stadt Mexiko tatsächlich ein staatlich anerkannter Luftkurort. Später wurde sie trotz ihrer Schönheiten und Attraktionen ziemlich genau das Gegenteil, nämlich ein Moloch mit 20 Millionen Menschen (Österreich und Cuba zusammen) und fast vier Millionen Autos. Beim Kampf um das Klima gilt Mexiko noch immer als Härtefall, zumal dünne Luft, hohe Sonneneinstrahlung und der Gebirgskessel die Extreme noch verstärken. Hertz weiß, "dass wir hier ziemlich nahe am Nerv des Problems hängen".

Viele bezahlen das mit ihrer Gesundheit. Hertz hat seine chronische Bindehautentzündung zwar vor 14 Monaten aus Karlsruhe mitgebracht und wird sie hier kaum los werden. Er findet auch: "Man spürt nicht genug, wie schädlich es ist." Die meisten Bewohner haben sich an die Verpestung gewöhnt, obwohl es Demonstrationen gab und ein Linkspolitiker an "das Menschenrecht Atmen" erinnerte. Doch die Statistik berichtet von Asthma, Frühgeburten, Lungenkrebs, und gemäß Hochrechnungen könnte sich der Staat Mexiko bei optimaler Luftbeschaffenheit pro Jahr bis zu sechs Milliarden Dollar an Gesundheits- und Reinigungskosten sparen. Manchmal scheint es, als räche sich der einstige Aztekenkaiser Moctezuma nicht nur an den Mägen empfindlicher Touristen.

Immerhin, das Schwellenland Mexiko bekämpft die Apokalypse mittlerweile vergleichsweise zielstrebig, auch mit Hilfe der GTZ, die sich auch Projekten wie der Minimierung industrieller Sonderabfälle oder der umweltorientierten Berufsbildung widmet und dabei wirtschaftliche Interessen zu wecken versucht. Es gibt bleifreies Benzin und Katalysatoren, tageweise Fahrverbote für Fahrzeuge mit bestimmten Endziffern der Autonummern sowie halbjährige Abgasuntersuchungen - jedenfalls theoretisch, denn praktisch werden auch diese Vorschriften gerne umkurvt.

Derzeit beschäftigt sich Hertz vor allem mit den Emissionen kleinerer Betriebe; zur Rückführung von Benzindämpfen und zum Aufbau eines Messsystems haben GTZ und zuvor der TÜV bereits beigetragen, die Ozonwerte gehören längst zur täglichen Wetterkarte. Die neue (linke) Stadtregierung erwägt sogar eine Senkung der Grenzwerte, was häufigere Warnungen zur Folge hätte, aber auch ein löbliches Beispiel wäre. Hertz glaubt, der Fall Mexiko habe weltweit "eine ganz hohe Signalwirkung".

Vor allem, sobald sich die Berge zeigen. Nachdem es in den vergangenen Monaten wenig Waldbrände und viel Regen gegeben hatte, war eines Morgens sogar der Popocatepetl zu bewundern, was zur Feier des Tages im Radio verkündet wurde. "Wenn wir klare Tage haben", schwärmt Hertz, "dann haben wir ein wunderbares Panorama". Wenn.

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Dieser Artikel von Peter Burghardt ist in der Süddeutschen Zeitung am 15. Dezember 2000 erschienen.

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