

Als Praktikant war der Geographie-Student Wolfgang Müller in Guadalajara. Er erlebte an seinem Praktikumsplatz zunächst einen klassischen Kulturschock, ehe sich sein Aufenthalt zu einem sehr lehrreichen wandelte.
Als Isidro dann endlich vor mir stand, ging er nach kurzer Begrüßung
ohne Umschweife dazu über, mir Aufgabe und Zielsetzung des Büros
zu erklären und, worin er die möglichen Betätigungsfelder eines
Praktikanten dabei sähe. Während es so aus ihm hervorsprudelte und
er viel über das Planungsgesetz des Staates Jalisco sprach, machten wir
eine Führung durchs Büro. Einige Karten und Ordner wurden auf dem
Tisch ausgebreitet. Bis dahin hatte ich außer meinem Namen noch nicht
viel gesagt. Aha, dachte ich mir: Die Uhr dieses Menschen tickt schneller,
als Uhren das üblicherweise in Mexiko tun.
Überfordert
versuchte ich, so viel wie möglich zu verstehen, was nicht viel war am
Anfang, und hakte hier und da nach, was mich nicht schlauer machte für
den Moment. Bepackt mit einer Kopie des "Ley del Desarollo Urbano del Estado
de Jalisco" und einem großen "?" im Kopf, ging ich nach Hause und ließ
mich von meiner Gastfamilie trösten. Das war also der erste Arbeitstag.
Mit der Zeit begriff ich, dass Isidro mir erst einmal die verschiedenen planerischen Maßstabsebenen, die für den Staat Jalisco definiert worden waren, vermitteln wollte. Ich sollte mir ein Bild davon machen können, auf welcher planerischen Ebene meine Arbeit ablaufen würde und in welchem räumlichen Zusammenhang die Gemeinde Zapopan und die Stadt Guadalajara zu sehen sind. Wenn man - wie ich - aus München kommt, dann macht es eben schon Sinn, sich z. B. einmal bewusst zu machen, dass Guadalajara viermal so viele Einwohner hat als München und dass auch die Probleme andere Dimensionen haben als dort.
Wer Ordnung und Logik in Guadalajara sucht, wird sich schwer tun. Es fängt damit an, dass es keinen Fahrplan für die öffentlichen Busse gibt, und hört damit auf, dass auch Taxifahrer häufig den Weg nicht genau kennen. Um sich zurechtzufinden, braucht man Experimentierfreudigkeit. Aber: "Die Straße weiß alles." Das heißt, es gibt überall Leute, die einem weiterhelfen.
Im
Endeffekt war mein "Baby" dann die "Evaluación del Centro Barrial Ciudad
de los Ninos". Das heißt, ich machte so etwas wie eine Stadtteil-Diagnose.
Ich beobachtete und kartierte beispielsweise die Nutzungen der Gebäude
in bestimmten Zonen des Stadtteilzentrums "Ciudad de los Ninos" und verglich
die Ergebnisse mit den Nutzungsvorgaben des Stadtplanungsgesetzes des Staates
Jalisco. Um zusätzliche Daten zu erhalten, besuchte ich einige Male das
INEGI, das mexikanische Pendant zum hiesigen Statistischen Bundesamt. Immer
wieder gab es Probleme, aber das Ganze fing an, immer mehr Spaß zu machen,
weil man endlich mal das Gefühl hatte, etwas zu tun, und nicht nur wie
in der Uni zu Hause den Stoff vorgekaut bekam.
Im
weiteren Verlauf des Praktikums war ich froh um jede Sekunde Spanisch-Unterricht,
die mir bis dato erteilt worden war, denn Isidro ist von Natur aus Schnellsprecher,
und als solcher schafft er es nur seltenst, langsam zu sprechen. Die ersten
zwei Wochen brauchte ich, um mir etwas vom nötigen Spanisch-Grundwortschatz
der Stadtgeographie (Stadtviertel, Häuserblock, Grundstück, Eigentumswohnung,
Mietwohnung usw.) anzueignen sowie mir den Bürocomputer zum Freund zu machen.
Da Isidro tagsüber meistens in seinem Haupt-Büro am anderen Ende der
Stadt war, galt die Devise: Hilf dir selbst! Oft war das nervig, denn es bedeutete
Zeitverlust, aber ich bin froh um die Erfahrung, wie viele Dinge man selbst
auf die Reihe kriegt, wenn man nur muss. Ich hatte mittlerweile zwar für
Notfälle Isidros Handy-Nummer, aber selbst wenn man einigermaßen
Spanisch spricht, ist es schwierig, vor allem technische Probleme auf Spanisch
übers Telefon zu diskutieren.
Auf
die Frage, ob man dafür so weit reisen sollte, sage ich: Unbedingt! Denn
in Mexiko ist einfach alles anders als zu Hause in Deutschland, und das macht
die Sache so spannend. Indem man sehr viel Zeit in Guadalajara verbringt, lernt
man einen Ausschnitt mexikanischen Alltags intensiv kennen. Das ist mal etwas
anderes, als kreuz und quer durchs Land zu pilgern und nur die Oberfläche
der Dinge wahrzunehmen. Die Gastfamilie, bei der ich wohnte, war sehr nett und
gab mir das Gefühl, nicht nur Gast, sondern Teil der Familie zu sein. Man
bekam hautnah mit, wie sehr das Familienleben in Mexiko in Ehren gehalten wird,
und es war schön zu erkennen, dass sich die Familienmitglieder untereinander
halfen, wo immer sie konnten. In Mexiko bilden die Familien dort, wo der Staat
versagt, ein soziales Netz. Man konnte auch die starke Verdrossenheit und Gleichgültigkeit
gegenüber der nationalen Politik spüren, gerade bei jungen Leuten.
Laut den Auskünften einiger Mexikaner macht die Korruption im Lande viele
Hoffnungen kaputt.
Bei
der Arbeit im Büro war ich oft hin- und hergerissen, und mir kamen Gedanken
wie: "Mensch, draußen sind 40 Grad im Schatten, und du hockst hier und
hackst am Computer rum, du hast doch Semesterferien, 200 km westlich sind
Traumstrände, fällt dir nichts Gescheiteres ein?"
Aber
als Entschädigung gab es ja die Wochenenden, für deren reibungslosen
Ablauf gleich mehrere Mexikaner und Deutsche vor Ort gesorgt hatten und die
immer super waren. Strand, Vulkan, Archäologie und Kultur, verabreicht
in Wochenend-Packungen, waren für mich die Abrundung eines Praktikum-Urlaubs,
den ich nie vergessen werde.